23:00. Ich bin müde und habe Kopfschmerzen. Hinter mir liegen 12 Stunden Arbeit im Notquartier Mödling, wo ich seit einer Woche eine der sechs BetreuerInnen bin. Trotzdem bin ich jetzt am Westbahnhof. Hier hat alles begonnen, hier fühle ich mich mittlerweile wie Zuhause. Ich bin seit ein paar Minuten auf der Suche nach einem 8 Jahre alten Mädchen, das von seiner Mutter und Schwester gesucht wird. Die Familie ist in Spielfeld in zwei verschiedene Taxis gestiegen und nur ein Taxi kam am Westbahnhof an. Ich leite ihren Namen und ihr Foto an den Hauptbahnhof, die Grenze und an Salzburg weiter, in der Hoffnung das Mädchen zu finden. Dann bringen wir Mutter und Schwester vorerst ins blaue Haus, wo sie die Nacht verbringen werden.
1:30. Mein Handy klingelt. Es ist TrainOfHope vom Hauptbahnhof. Sie haben das Mädchen gefunden und wollen wissen, was wir als nächstes machen. Ich spüre wie mein Herz schneller schlägt und gehe im Kopf aufgeregt alle Möglichkeiten durch, bis ich beschließe selbst hinzufahren und das Mädchen abzuholen. Zusammen mit Magdy laufe ich ins blaue Haus und suche fieberhaft nach Mutter und Schwester. Es dauert nicht lange bis wir sie finden und gemeinsam mit ihnen fahren wir zum Hauptbahnhof um das Mädchen abzuholen.
Dort angekommen fällt sich die Familie in die Arme. Immer wieder umarmt die Mutter ihre Tochter und drückt sie fest an sich. Ich bekomme Gänsehaut und gleichzeitig wird mir warm ums Herz. Sie bedanken sich immer wieder bei uns und nachdem wir ihnen auch wärmere Schuhe besorgt haben, fahre ich sie wieder zurück zum Westbahnhof, wo sie sich im warmen Zimmer endlich für einige Stunden von ihrer Reise erholen können.
3:20. Wir laufen durch das Bahnhofsgebäude und verteilen Decken an die etwa 300 frierenden Menschen, die für heute Nacht keine Unterkunft mehr bekommen haben. Viele von ihnen tragen Flip Flops, kurze Hose und T-Shirt. Kleine Kinder liegen auf dem Boden, eng an ihre Mutter gekuschelt. Gemeinsam mit ein paar Dolmetschern setze ich mich auch mitten in der Halle auf den Boden und warte ab, ob noch mehr aus Spielfeld ankommen – Taxipreis ca. 500 Euro.
Ein älterer Mann im Anzug liegt schlafend neben dem Eingang. Er zittert so heftig, dass wir ihn aufwecken und weiter in die Halle hineinbringen. Er erklärt uns, dass er für die Flucht seinen letzten schönen Anzug angezogen hat und nur seine Aktentasche mit Dokumenten und Fotos aus Syrien mitgenommen hat. Wir geben ihm zwei Decken und schauen uns dann um, ob wir noch anderen helfen können.
4:00. Wir führen die letzten Ankommenden zu freien Stellen zwischen den Schlafenden wo sie sich noch kurz ausruhen können, bevor sie am frühen Morgen in Regionalzügen weiterreisen können. Langsam werden wir müde. Wir setzen uns noch kurz zusammen und wärmen uns ein wenig gegenseitig bevor wir die ersten Flüchtlinge wieder aufwecken, um sie zu den ersten Zügen zu bringen.
6:30 Ich sitze im Auto und fahre nach Hause. Es war wieder eine lange Nacht und ohne die Hilfe unserer Dolmetscher wäre es unmöglich gewesen, die Menschen so ruhig und geordnet “unterzubringen”. Ich frage mich immer wieder, wie lange sie das noch aushalten. So viele sind seit dem ersten Tag dabei, zeigen keine Schwäche und opfern sich Tag für Tag aufs Neue, um den Ankommenden zu helfen. Sie haben meinen größten Respekt, denn ich bin mir sicher, nicht wenige kämpfen mit Alpträumen. Ich weiß wie schwierig es ist das Erlebte zu verarbeiten und ich weiß, dass viele immer noch die Reisen und das damit verbundene Leid der Menschen vor sich sehen, sobald sie die Augen schließen. Deshalb möchte ich Danke sagen.
Danke dafür, dass ihr immer für die Menschen am Bahnsteig 1 da seid/wart. Danke, dass ihr die Ambulanz täglich unterstützt. Danke, dass ihr Essen kocht und es dorthin bringt, wo es gebraucht wird. Danke, dass ihr selbst Familien aufnehmt, die keine andere Lösung finden. Danke, dass ihr so oft Nachtschichten macht und vor allem Danke, dass ihr euch so bemüht den Kindern ein paar glückliche Momente zu schenken